Frauen in sozialen Netzwerken.
Als ich 2005 mit der Nutzung von Sozialen Netzwerken begann, sah ich mit leuchtenden Augen die Chancen zu Kommunikation auf Augenhöhe, Transparenz und weltweiter Vernetzung. Im Herbst 2019 deaktivierte ich einige meiner Kanäle zum wiederholten Male. Zu brutal, zu untergriffig endeten die meisten Diskussionen. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine mentale Gesundheit nur durch totalen Rückzug schützen könnte.
Eigentlich hat das Netz für uns Frauen Potenzial: Frauen vernetzen sich, teilen ihr Wissen und ihre Erfahrungen, positionieren sich als Expertinnen und Unternehmerinnen und machen ihre Kunst sichtbar. Sie werden erfolgreiche Influencerinnen oder zeigen Haltung in politischen Fragen.
Wenn wir den Statistiken glauben, dann haben wir Frauen in vielen sozialen Netzwerken die Nase vorne: 55 % Nutzerinnen auf Facebook oder Instagram, sogar über 80 % (!) auf Pinterest. Twitter ist das einzige, traditionelle soziale Netzwerk, in dem Männer mit 55 % einen leichten Vorsprung haben.
Haben wir es also geschafft, gehört uns – zumindest in den sozialen Netzwerken – die halbe Welt?
Die Stiftung MaLisa(1), Berlin veröffentlichte Anfang des Jahres 2019 eine Studie zur weiblichen (Selbst-) Inszenierung in neuen Medien. Das Ergebnis zeigt die Zementierung alter Rollenzuordnungen. Frauen präsentieren sich nur halb so oft wie Männer und wenn, dann zu einem großen Teil in “typisch weiblichen” Kategorien. Frauen geben Schminktipps und sprechen über ihre Hobbys wie Basteln, Kochen oder Nähen. Auf Instagram sind die Frauen besonders erfolgreich, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Das bedeutet dünn, blond, langhaarig – und aktuell auch noch sportlich und muskulös. Hat sich also nichts geändert? Reflexartig das Problem auf der individuellen Ebene der einzlenen Frau zu suchen, greift jedoch zu kurz.
Enge Grenzen
Dass sich viele Frauen innerhalb dieser engen Grenzen bewegen ist oft nicht nur eine persönliche Entscheidung. Viele Befragte der Studie verweisen auf Hürden, die es schwer machen, aus dem Themenfeld „Beauty“ auszubrechen. Auch wenn sich Frauen in Themenfeldern wie Medien, Geld oder Unternehmensgründung profilieren, dann meist innerhalb einer weiblichen Community. Auch hier greifen die alten Rollenwahrnehmungen. Männer interessieren sich hauptsächlich für Inhalte von Männern, die sie dann auch bevorzugt referenzierten oder teilen. Was, wenn Frauen selbstbewusst ihr Sicht der Dinge äußern, wie in Comedy oder Politik? Frauen, die sich andere Felder erschließen, sind oft mit kritischen und sogar bösartigen Kommentaren konfrontiert.
Online-Gewalt ist normal?
Frauen sind weltweit überproportional von Belästigung und Gewalt via Internet betroffen. Dies wird in unterschiedlichsten Studien sichtbar. So hat in Österreich bereits jedes dritte Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren innerhalb eines Jahres eine Online-Gewalterfahrung erlebt(2). Gemäß einer Amnesty-Studie glauben 64 % aller Befragten, dass Missbrauch (engl. abuse) oder Belästigung (engl. harassment) von Frauen im Netz heutzutage normal sind.(3)
Rückzug oder Ermächtigung?
Als Alyssa Milano am 15. Oktober 2017 gegen Mittag mit einem Tweet und dem Hashtag #metoo online ging, hatte sie am Abend bereits 200.000 Antworten und auf Facebook reagierten über 5 Millionen Menschen innerhalb von 24 Stunden auf das Posting(4). Ein Tweet und ein Kürzel, das eine längst fällige Debatte über sexuelle Gewalt auslöste und nicht nur für Harvey Weinstein persönliche wie auch rechtliche Konsequenzen hatte. Auch die aktuelle Netflix Dokumentation “Stinkreich” über Jeffrey Epstein hätte ohne die #metoo Bewegung so nicht stattfinden können.
Es sind couragierte Frauen und Männer, die wichtige Themen der Gleichberechtigung im digitalen Netz sichtbar machen und voran bringen. Es sind nicht nur Stars und Influencer, wir alle sind aufgerufen täglich darüber zu entscheiden, wie wir in sozialen Netzwerken wahrgenommen werden und welche Themen relevant sind.
Ich habe mich entschieden, wieder sichtbar zu werden, meinen Facebook Account aktiviert, einen neuen auf Twitter eingerichtet. Ich verlasse die Deckung. Ob auf Facebook, Instagram oder andere soziale Netzwerken: Machen wir die 55 % in all ihrer Vielfalt und Differenziertheit sichtbar. Bestärken wir uns gegenseitig in relevanten Inhalten, zeigen wir unsere Expertise und noch wichtiger: Lassen wir uns nicht den Mund verbieten.
(1) https://malisastiftung.org/geschlechterdarstellung-neue-medien/
(2) “Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Netz in Österreich” 2018
(3) siehe 2
(4) https://derstandard.at/2000088752788-2000066323204/Ein-Jahr-MeToo-Weinstein-und-der-Wendepunkt Stand: 28.04.2019